Wenn jemand eine wortlose Kindheit erfahren hat, wie soll er später davon erzählen?
Robert Kleindienst nimmt sich das Schicksal seines Vaters zu Herzen, der einst ziemlich wortlos im Tiroler Oberland bei einer Pflegefamilie aufgenommen und bald darauf in die berüchtigte Bubenburg im Zillertal gesteckt worden ist. Später in Salzburg ist er dann ein geschätzter Musiker geworden, der den Ton der Wortlosigkeit beim Publikum getroffen hat. Offensichtlich lässt sich die Sprachlosigkeit der Nachkriegszeit später mit Musik überwinden.
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Ähnlich wie die Musik ist der Fluss hilfreich bei Verfassen von Lebensweisheiten, es geht nämlich nur darum, das elementare Gesetz zu befolgen: Alles fließt.
Die Erinnerung verläuft in groben Schwarzweißbildern von Dorf, Landschaft und brachialen Mächten im Hintergrund. Jede Geschichte fußt auf Naturgewalten, die sich vom Himmel lösen und den Fluss anschwellen lassen. Jede Liebkosung löst sich von den irdischen Lippen der Pflegeeltern und verschwindet im Sog der Behörde. Dazwischen sitzt das Kind und wird erwachsen.
In dieses Schicksal vom musikalischen Kind, das sich einen eigenen Reim auf die Welt macht und letztlich „das Lied davon“ singt, sind Ereignisse aus dem Chronikteil der Zeitungen und diverse Familiengeschichten eingebaut. Schon in den ersten Aufbauschritten nach dem Chaos des Krieges wird gesellschaftlich eine Auslese getroffen: Die Habenichtse werden von den Besitzenden abgetrennt, ihre Kinder kaserniert man nach dem späteren Nutzen für die Wirtschaft. Der Geist der Staatsfürsorge aus der Diktatur wird unreflektiert weitergeschrieben, weil niemand eine Idee hat, wie man es besser machen könnte. Nur die Musik ist in ihren Texten unverfänglicher geworden, in der Melodie hat sich wenig verändert, denn es gilt immer das Lied von der Gegenwart.
Robert Kleindienst gelingt mit der Figur des Luis ein berührendes Porträt seines eigenen Vaters, indem er aus einem harten Schicksal die weichen Bewegungen der Versöhnung mit sich selbst heraus zeichnet. Die Kindheit wird zu einem Flow voller Musikalität.
(Auszug aus der Rezension des Romans „Das Lied davon“ von Helmuth Schönauer, Tiroler Gegenwartsliteratur 2389)
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