Wenn ein Mensch im Traum das Paradies durchwanderte, und man gäbe ihm zum Beweis, dass er darin gewesen ist, eine Blume mit, und er sähe beim Aufwachen diese Blume in seiner Hand, was wäre daraus zu schließen? (Samuel Taylor Coleridge)
Es erübrige sich, zu sagen: „Die Welt geht zugrunde, wenn wir schlafen“, hört man ihn sagen. Wenn wir schlafen, gingen wir der Welt traumhaft auf den Grund. Die Welt zwischen Traum und Traum nämlich sei keine wirkliche Welt, hört man ihn sagen, es sei ein Schattenreich, auf das wir kaum zugreifen könnten, selbst wenn wir wollten. Die wirkliche Welt sei vielmehr im Traum zu finden, nicht im Traum solle man daher daran denken, sie minder zu schätzen oder ihr keine Bedeutung beizumessen. Der Traum, sagt er mit großer Gewissheit, sei keine Täuschung, kein Trugbild, sondern größtmögliche Lebenswahrheit, da er dem Innersten eines jeden Einzelnen entstamme, voller Bilder, Empfindungen, Emotionen, ohne viel Sprache und Logik.
Für alles wollten die Menschen verantwortlich sein, nur nicht für ihre Träume, die ihnen doch ureigen seien. Nichts mehr sei ihr Werk: Stoff, Form und Dauer. Jeden Tag könne man als jemand erwachen, der man im Traum war, doch niemand würde einen außerhalb des Traums so akzeptieren wie darin. Nicht einmal in völliger Weltabwesenheit und Isolation könne man in der Schattenwelt seine Zufriedenheit finden, es gäbe zu viele Tücken und Partikel, die einem das Leben erschwerten und ständig daran erinnerten, dass man woanders besser aufgehoben sei. Wer auch am Tag träume, würde sich vieler Dinge bewusst, die dem entgingen, der nur nachts träumt. Wirklich arm aber seien jene, die nicht träumen könnten, denen die Fähigkeit abhanden gekommen sei, sich im Traum von der Schattenwelt abzugrenzen.
Im Traum, hört man ihn sagen, sei das Leben ein Leichtes, Unbeschwertes, hier könne man sterben, ohne zu sterben, fallen, ohne sich weh zu tun, hier könne man Menschen treffen, die in der Schattenwelt gänzlich unerreichbar seien. Im Traum könne man Tote zum Leben erwecken und müsse dabei gar nicht gläubig sein, hier gäbe es jeden Gott, jede Göttin anzutreffen, die man sich nicht im Traum vorzustellen wagte, nur hier, im Traum, könne man traumhaften Menschen begegnen. Wer im Dunkeln sitze, müsse sich einfach einen Traum anzünden, hört man ihn sagen aus tiefstem Inneren. Es sei eine Welt, die einem gehöre, die man erschaffen könne, in der Schattenwelt aber könne man nie so glücklich sein wie im Traum. In der Schattenwelt würden sich viele zu Tode langweilen, in einer gänzlich enträtselten Welt, hier, im Traum aber habe man unendliche Macht und Möglichkeiten und sei selbst die Liebe jeden Tag neu erlebbar ohne Rechtfertigung.
Und hier, sagt der Traum, wäre auch schon ein Ende erreicht, denn es sei an der Zeit, endlich die Lider zu schließen. Ohne Träume, sagt er leise, käme der Welt viel Substanz abhanden, denn nicht der Traum, sondern die Schattenwelt sei schwarz wie der Tod. Es erübrige sich niemals, zu sagen. „Wer unsere Träume stiehlt, gibt uns den Tod.“
(Eröffnungstext für die Innsbrucker Wochenendgespräche 2014)
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